Der grosse Machtgraben zwischen den Geschlechtern – Zahlen. Fakten. Hintergründe

Seit Jahrtausenden waren es Männer, die über den Grossteil an Macht und Einfluss verfügt haben. Auch wenn der Frauenanteil im Kader in den letzten Jahren leicht gestiegen ist, hält sich das Machtungleichgewicht hartnäckig.

Warum stehen Frauen immer noch aussen vor, wenn es um Macht und Einfluss in der Wirtschaft geht? Eine Umfrage von Advance in Zusammenarbeit mit EY Schweiz und dem CCDI bei über 1’200 berufstätigen Frauen in der Schweiz im Jahr 2024 hat ergeben, dass sich über alle Altersgruppen hinweg rund 90% der befragten Frauen einen beruflichen Aufstieg wünschen. Dies widerspricht der Annahme, dass Frauen, vor allem im gebärfähigen Alter und Frauen mit (kleineren) Kindern, keine Führungsverantwortung wollen. Was hält Frauen von Macht und Einfluss ab und Männer an der Macht?

Bereitschaft zur beruflichen Weiterentwicklung

Wer ist (tatsächlich) an der Macht?

Die Zahlen zeigen ein klares Bild: Frauen sind in Kaderpositionen untervertreten. Sie stellen nur rund einen Fünftel der Positionen im obersten und oberen Kader in der Schweizer Arbeitswelt. Die Fortschritte sind nach wie vor gering: Steigerungen zwischen null und zwei Prozentpunkten pro Kaderstufe deuten darauf hin, dass sich die Nadel im Vergleich zum Vorjahr nur geringfügig bewegt hat.

Wie wir die Fortschritte über die Zeit messen

Um die Fortschritte im Zeitverlauf aufzuzeigen und einen Vergleich zu ermöglichen, haben wir ein Sample von 71 Unternehmen mit 305.600 Mitarbeitenden gebildet, die sowohl 2023 als auch 2024 Daten für den Gender Intelligence Report zur Verfügung gestellt haben.

Geschlechterverteilung nach Kaderstufe

In Machtpositionen überwiegen nach wie vor die Männer. In diesem Bericht wird der Begriff „Machtpositionen“ für Funktionen verwendet, die die Macht haben, wichtige Entscheidungen zu treffen, die Strategie zu definieren, Finanzströme zu lenken und wichtige Stakeholder zu beeinflussen. Diese Positionen werden in den analysierten Daten mit dem Indikator „Personalverantwortung“ gemessen, da solche Funktionen wahrscheinlich auch eine Gewinn- und Verlustverantwortung beinhalten und oft karriereentscheidend sind.

In den GIR-Unternehmen haben Frauen nur 27 % der Machtpositionen inne. Im untersten Kader gibt es nur einen geringen Anteil solcher Positionen, während der Grossteil im unteren und mittleren Kader zu finden ist. Auf diesen Ebenen sind Frauen stark unterrepräsentiert. In den Machtpositionen des mittleren und oberen / obersten Kaders ist der Anteil der Männer mehr als dreimal so hoch wie der Anteil der Frauen. Und: Eine kürzlich durchgeführte Analyse von fast 1000 grossen Unternehmen in der ganzen Welt ergab, dass nur 29 % der umsatzbringenden Führungspositionen von Frauen besetzt sind. Diese Art von Funktionen können ein Sprungbrett in die Führungsetage sein, da sie Erfahrung in der Führung von Unternehmen oder im Treffen operativer Entscheidungen vermitteln (Hall et al., 2024).

Machtpositionen nach Geschlecht und Kaderstufe

Das Machtgefälle bleibt bestehen – vorerst

Im Alter von über 40 Jahren übertreffen Männer die Frauen in Machtpositionen um das Drei- bis Vierfache. Betrachtet man jedoch die jüngeren Generationen von Führungskräften und nimmt eine intersektionelle Perspektive auf Personen in Machtpositionen ein, so zeigt sich eine etwas grössere geschlechtsspezifische Vielfalt – unter 30 Jahren sind Männer und Frauen gleich stark vertreten (obwohl nur wenige Mitarbeitende unter 30 Jahren solche Positionen innehaben). Zwischen 31 und 40 haben doppelt so viele Männer wie Frauen Personalverantwortung. Zumindest auf dieser Ebene liegt ihr Anteil über der kritischen Schwelle von einem Drittel, ab der sie die (Inklusions-)Kultur zum Besseren beeinflussen können (Kanter-Moss, 1977).

Machtpositionen nach Geschlecht und Alter

Ist die Zukunft der Unternehmensführung (gender-)diverser? Gibt es Anzeichen, die auf einen kulturellen Wandel in Bezug auf Geschlecht und andere Formen der Vielfalt hindeuten? Die Antwort ist ein eingeschränktes „Ja“. Beispielsweise sind jüngere Frauen genauso gut oder besser ausgebildet als ihre männlichen Kollegen. In der Altersgruppe der 50-Jährigen und älter besteht ein erheblicher Bildungsunterschied von 22 Prozentpunkten: 42 % der Frauen und 64 % der Männer verfügen über einen Tertiärabschluss. Im Gegensatz dazu: In der Altersgruppe der 30-Jährigen und jünger gibt es ebenso viele Frauen wie Männer mit einem Tertiärabschluss (jeweils 45 %). Tatsächlich schliessen inzwischen mehr Frauen als Männer ihre Ausbildung mit einem Tertiärabschluss ab. Dies deutet darauf hin, dass die Talentpipeline nach ganz oben voll mit jungen, weiblichen Talenten ist – aber es liegt an den Unternehmen, diese Chance zu nutzen.

Nutzen die Unternehmen diese Chance? Insgesamt gibt es deutlich mehr Männer als Frauen, die neu in Führungspositionen eingestellt und befördert werden.

 

Ab dem 30. Lebensjahr werden Männer doppelt bis fast dreimal so häufig in Machtpositionen eingestellt als Frauen

Betrachtet man die Besetzung von Führungspositionen durch Rekrutierungen, so zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern, ausser in der jüngsten Altersgruppe, die nur 5 % aller Rekrutierungen in Führungspositionen ausmacht. Nach dem Alter von 30 Jahren öffnet sich die Schere deutlich.

Neueinstellungen in Machtpositionen nach Geschlecht und Alter

Aufgrund der mathematischen Rundung der einzelnen Balken (0,5 und höher werden aufgerundet, unter 0,5 wird abgerundet) ergibt sich eine Gesamtsumme von 101 %.

Beförderungen in Machtpositionen nach Geschlecht und Alter

Eine gute Nachricht: Es werden verhältnismässig mehr junge Mitarbeitende in Machtpositionen befördert, verglichen mit der bestehenden Altersverteilung in diesen Positionen. Das deutet darauf hin, dass die Altersvielfalt zunehmen könnte.

Männer werden etwa doppelt so häufig in Führungspositionen befördert wie Frauen

Im Vergleich zu ihrem Anteil am Talentpool sind Männer bei Beförderungen in Machtpositionen stark überrepräsentiert. Am ausgeprägtesten ist dies in den Altersgruppen 31 bis 40 und 41 bis 50, in denen die meisten Beförderungen stattfinden. Eine Ausnahme bildet die Altersgruppe zwischen 21 und 30 Jahren. In dieser Altersgruppe werden Frauen sogar etwas häufiger in Führungspositionen befördert als Männer. Dies ist ein Silberstreif am Horizont, der darauf hindeutet, dass die jüngeren Generationen das Ruder herumreissen können – vorausgesetzt, beide Geschlechter haben in allen Lebensphasen die gleichen Karrierechancen.

Beförderungen und Neueinstellungen in Machtpositionen nach Altersgruppen

Der Grossteil der Beförderungen in Machtpositionen findet jedoch zwischen 30 und 40 statt, also genau in der Familienphase. 42 % der Beförderungen in Machtpositionen gehen an Beschäftigte zwischen 31 und 40 Jahren (obwohl nur 27 % der Mitarbeitenden in diese Altersgruppe fallen). Das Gleiche gilt für 35 % der Neueinstellungen. Dies fällt genau in die Zeit der Familiengründung, d.h. wenn Schweizerinnen und Schweizer im Durchschnitt mit 31 Jahren ihr erstes Kind bekommen, was Arbeitnehmende mit Betreuungspflichten benachteiligt (BFS, 2023).

Das Erfolgsrezept zur Erlangung einer Machtposition heisst Vollzeit

Die Machtverhältnisse sind zugunsten von Arbeitnehmenden verschoben, die in der Lage sind, sich auf die Arbeit in Vollzeit (oder mehr als Vollzeit) zu konzentrieren: Während 56 % aller Frauen Vollzeit arbeiten, gilt dies für 85 % der neu in Machtpositionen eingestellten und 82% der in Machtpositionen beförderten Mitarbeitenden, wobei die überwiegende Mehrheit der Teilzeitmitarbeitenden 80 % oder mehr arbeitet. Das bedeutet, dass Frauen ihr Arbeitspensum deutlich erhöhen müssen, um eine Führungsrolle zu übernehmen, während sich für Männer nichts verändert. Bemerkenswert ist auch, dass die Verteilung der Beschäftigungsgrade bei Beförderungen und Rekrutierungen exakt mit der Verteilung der Arbeitspensen der Männer übereinstimmt, die ihren Beschäftigungsgrad anscheinend nicht anpassen müssen, um eine Machtposition zu übernehmen. Mit anderen Worten: Das männliche Karrieremodell beherrscht nach wie vor das (Macht-)Spiel.

Der Silberstreif am Horizont ist wiederum die Altersgruppe zwischen 21 und 30 Jahren: Zwischen 21 und 30 Jahren gibt es kaum einen Unterschied in den durchschnittlichen Beschäftigungsgraden von Frauen und Männern (drei Prozentpunkte). Ab dem 31. Lebensjahr beginnt die geschlechtsspezifische Kluft zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung, die in der Altersgruppe von 31 bis 40 Jahren 12 Prozentpunkte und in der Altersgruppe von 41 bis 50 Jahren 15 Prozentpunkte beträgt.

Beförderungen in Machtpositionen nach Beschäftigungsgrad im Vergleich zu den Beförderungen insgesamt

Das oberste und obere Kader ist weitgehend homogen

Um zu verstehen, wie die vorherrschenden Normen im Machtgefüge der Schweizer Wirtschaft zustande gekommen sind, müssen wir uns den typischen „Wirtschaftsführer“ in der Schweiz genauer ansehen. In unserem GIR-Datensatz bedeutet dies, dass wir die oberste Führungsebene betrachten, eine Hierarchieebene, die die C-Suite, die Geschäftsführer und ihre Peers umfasst – Positionen, die mit der Macht verbunden sind, wichtige Entscheidungen zu treffen, Strategien zu entwerfen, Finanzströme zu lenken und einen grossen Kreis von Interessengruppen zu beeinflussen. Viele von uns assoziieren mit diesen Entscheidungsträgern einen weissen Mann, der in der Schweiz geboren ist und/oder Deutsch spricht, typischerweise über 50 Jahre alt ist, gesund ist und Vollzeit arbeitet. Die Daten bestätigen dies:

  • 78 % der Topmanager:innen sind Männer
  • 55% der Topmanager:innen sind über 50 Jahre alt – 46% aller Topmanager sind Männer über 50
  • 71% der Topmanager:innen sind Schweizer (73% der männlichen Topmanager und 62% der weiblichen Topmanager)
  • 92% der Topmanager:innen arbeiten Vollzeit (95% der Männer und 81% der Frauen)

[1] Der Begriff „Schwarz“ ist kein Adjektiv oder eine Farbbezeichnung, sondern eine politische und kulturelle Selbstbezeichnung Schwarzer Menschen, daher sollte „Schwarz“ in diesem Zusammenhang unbedingt großgeschrieben werden (GRA). Wir schreiben auch „Weiß“ groß und folgen damit der Erklärung der Soziologin Eve Ewing: “Weißsein ist nicht zufällig. Weißsein ist eine Sache. Weißsein ist mit einer sozialen Bedeutung ausgestattet, die es Menschen ermöglicht, sich in einer Weise durch die Welt zu bewegen, wie es Menschen, die nicht weiß sind, nicht können“ (zitiert nach Eligon, 2020). Erfahren Sie hier mehr .

Top-Management nach Geschlecht und Alter

Aufgrund der mathematischen Rundung der einzelnen Balken (0,5 und höher werden aufgerundet, unter 0,5 wird abgerundet) ergibt sich eine Gesamtsumme von 99%.

Tausende von Spitzenpositionen werden demnächst aufgrund der Pensionierungswelle frei werden

Da 55 % aller Top-Manager:innen über 50 Jahre alt sind, werden in den kommenden 5 bis 10 Jahren mehrere Tausend Positionen im Top-Management frei werden. Dies ist eine enorme Chance für eine bewusste Nachfolgeplanung, um nicht nur die Machtlücke zu schliessen, sondern auch eine vielfältige und inklusive Führung zu sehen, die das Potenzial hat, nachhaltige Lösungen zu liefern und Risiken zu mindern. Jetzt ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, wie das Topmanagement der Zukunft in Bezug auf Vielfalt aussehen sollte – sowohl in Bezug auf die Demografie als auch auf Werte, Kompetenzen, Perspektiven, Erfahrungen usw.

Wenn es um Beförderungen in Top-Management-Positionen geht, sind Frauen in der Altersgruppe von 41 bis 50 Jahren immer noch deutlich weniger stark vertreten als Männer. Die erfreuliche Nachricht ist, dass der Abstand zwischen den Geschlechtern bei Beförderungen zwischen 31 und 40 Jahren deutlich geringer ist, was auf einen gewissen Generationswechsel bei der Frage, wer eine Führungsposition übernimmt, hinweist.

Beförderungen in Top-Managementpositionen nach Geschlecht und Alter

Noch ermutigender sind die Zahlen für Neueinstellungen: Obwohl nur wenige externe Topmanager:innen zwischen 31 und 40 Jahren eingestellt werden, ist das Geschlechterverhältnis sehr ausgewogen. Und zwischen 41 und 50 Jahren werden Frauen in fast gleichem Masse wie Männer eingestellt, obwohl die Kluft nach dem Alter von 50 Jahren beträchtlich ist (wobei zu beachten ist, dass externe Topmanagement-Neuanstellungen tendenziell älter sind als Mitarbeitende, die in dieselben Positionen befördert werden). Sowohl bei Neuanstellungen als auch bei Beförderungen in die oberste Führungsebene sind die „neuen Führungskräfte“ geschlechts- und altersmässig stärker gemischt als die etablierten Führungskräfte.

Neueinstellungen im Topmanagement nach Geschlecht und Alter

„Nicht alle Männer“

Dieses Bild der „typischen Führungskraft“ schliesst auch Männer aus, die nicht in die oben genannten Kategorien passen. Da ältere weisse Männer so lange dominiert haben, ist unser Verständnis von Macht von einer relativ homogenen Gruppe geprägt worden. Diese Vorstellung trägt weiterhin die Last der historischen Dominanz weisser, mächtiger Männer, die in unseren heutigen organisatorischen Rahmenbedingungen immer noch offensichtlich ist (Livingston & Rosette, 2021).

Dadurch wurden nicht nur Frauen und andere marginalisierte Gruppen ausgeschlossen, sondern auch Männer, die nicht in die oben genannten Kategorien passen (Dyke & Murphy, 2006).

  • Schwarze Männer: Macht kann Schwarzen Männern fälschlicherweise zugeschrieben werden, wenn es an Intersektionalität mangelt. In der Schweiz sehen sich beispielsweise junge Schwarze Männer bei der Suche nach einer Lehrstelle mit erheblichen Hindernissen konfrontiert (Bericht zu rassistischer Diskriminierung in der Schweiz, 2023). Zudem kann dies zu Problemen wie White Fragility führen, wenn darauf hingewiesen wird, dass Schwarze Männer oder andere Männer of Color am Arbeitsplatz stärker diskriminiert werden als weisse Frauen (Liu, 2017).
  • Schwule Männer: Schwule Männer sind deutlich seltener als vergleichbare heterosexuelle Männer in den höchsten Führungspositionen vertreten, die mit einem höheren Status und einer besseren Bezahlung einhergehen. Ausserdem ist diese „gläserne Decke“ für Schwule bei Race-Minderheiten stärker ausgeprägt als bei Weissen. Entsprechende Auswirkungen für Lesben existieren eebenfalls, sie sind jedoch deutlich schwächer (Aksoy et al., 2019).
  • Frauen im Alter zwischen 31 und 40 Jahren (die entweder Mütter sind oder als „gefährdet“ gelten, Mütter zu werden) (Gloor et al.,2021).
  • „Ältere“ Frauen: Die Kombination aus Sexismus und Altersdiskriminierung ist ein spezifischer Nachteil für ältere Frauen im Berufsleben. Frauen mit Hochschulbildung über 50 haben eine viel geringere Wahrscheinlichkeit, nach einem Vorstellungsgespräch für eine Verwaltungsposition einen Rückruf zu erhalten als jüngere Frauen mit Hochschulbildung (Farber et al. 2015). Benachteiligungen beim beruflichen Aufstieg beginnen bereits mit 40 Jahren (Ghilarducci, 2022): Das zeigt ein aktuelles White Paper von Advance, EY und dem CCDI!
  • Menschen mit Behinderungen: Behinderung und Führung werden selten zusammen betrachtet. Erfahrungen mit Vorurteilen, Behindertenfeindlichkeit und Diskriminierung führen zu Angst vor Offenlegung (Chan & Hutchings, 2023). Führungskräfte mit Behinderungen treten in der Regel nur dann in Erscheinung, wenn sie aussergewöhnliche Talente haben, selbst in den fortschrittlichsten Kontexten. Mangelndes Vertrauen und die Abwertung ihrer Zeugnisse, Erfahrungen und Leistungen führen zum Auftreten von LWD am Arbeitsplatz (Özbilgin & Odabaşı, 2023).

Unsere begrenzten Vorstellungen davon, wie eine Führungspersönlichkeit aussieht, schränken die Möglichkeiten dieser Gruppen ein, ihre Karriere zu verfolgen. Zum Teil deshalb, weil die vorherrschenden (geschäftlichen) Normen und Erwartungen, Bilder und Vorurteile tief in der vorherrschenden Machtstruktur verankert sind.

Das Machtungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in Finanzen

Alle Faktoren zusammengenommen führen zu einem grossen finanziellen Machtgefälle. Im Durchschnitt liegen die Bruttogehälter von Frauen 16 % unter denen von Männern. Auch hier nimmt das Machtgefälle mit der Hierarchiestufe zu: Je höher die berufliche Position, desto grösser ist der Unterschied zwischen den durchschnittlichen Bruttogehältern von Männern und Frauen. Beginnend mit einem Unterschied von 7,2 % beim Bruttolohn auf der Nicht-Kaderstufe, steigt er bis auf 18,4 % im mittleren und oberen Kader.

Unterschiede im Bruttogehalt nach Geschlecht und Hierarchiestufe

Source: Swiss Earnings Structure Survey (ESS), Federal Statistical Office (FSO), 2024

Dies ist noch ausgeprägter, wenn man nur die Bonuszahlungen[2] betrachtet:

[2] Berücksichtigt werden unregelmässig geleistete Zahlungen, z. B. Bonuszahlungen, Gratifikationen, Gewinn- oder Umsatzbeteiligungen, Eintritts- und Abfindungszahlungen oder Treueprämien.

Während Frauen im untersten Kader bereits durchschnittlich fast 25 % weniger Boni erhalten, beträgt der Unterschied im obersten Kader fast 40 %. Die durchschnittliche „Bonuslücke“ beträgt 54% (BFS, 2023). Das bedeutet, dass selbst Frauen, die es an die Spitze schaffen, scheinen weniger gut entlohnt zu werden, was auch darauf hindeutet, dass ihre Arbeit (oder die Art der Arbeit, die sie leisten) weniger wertgeschätzt wird.

Bonuslücke nach Geschlecht und Führungsebene

Source: Swiss Earnings Structure Survey (ESS), Federal Statistical Office (FSO), 2024

Was die Entwicklung der Bonuslücke in den verschiedenen Altersgruppen betrifft, so ist sie in jüngeren Jahren bereits beträchtlich und erreicht ihren Höhepunkt zwischen 50 und 64/65 Jahren mit bis zu 64 % (BFS 2023).

Bonuslücke nach Geschlecht und Alter

Source: Swiss Earnings Structure Survey (ESS), Federal Statistical Office (FSO), 2024

Vorurteile verfestigen starre Machtstrukturen

Vorurteile und Stereotypen darüber, wer als „mächtig“ gilt, verstärken das Machtgefälle. Unsere Voreingenommenheit und Vorurteile neigen dazu, bereits bestehende Machtdynamiken zu verstärken, indem wir sie als typisch kodieren und dann Entscheidungen treffen, die dazu passen (Kanter-Moss, 1977). Ein Beispiel: Wenn eine personalverantwortliche Führungskraft männlich ist, wird er möglicherweise einen männlichen Bewerber mit ähnlichen Eigenschaften wie er selbst einstellen oder befördern, weil er diese unbewusst mit dem Aussehen einer Führungskraft assoziiert (Similarity Bias) (ebd.).

Wenn ältere, weisse, gebildete Männer, die Vollzeit arbeiten, als Inbegriff von „mächtig“ gelten, werden wir sie eher als geeignet für Machtpositionen ansehen. Eine aktuelle MIT-Studie, die sich auf 30.000 leitende Angestellte einer grossen nordamerikanischen Einzelhandelskette stützt, zeigt: Frauen erhielten höhere Leistungsbewertungen als männliche Mitarbeitende, aber 8,3 % niedrigere Bewertungen für ihr Potenzial als Männer. Das Ergebnis war, dass weibliche Angestellte im Durchschnitt 14 % weniger wahrscheinlich befördert wurden als ihre männlichen Kollegen (Somers, 2022). Potenzialbeurteilungen, die weitaus seltener auf messbaren, spezifischen Kriterien beruhen als Leistungsbeurteilungen, werden immer noch überwiegend verwendet, um zu entscheiden, ob Mitarbeitende als „Talente“ gelten (ebd.).

Vorurteile sorgen auch dafür, dass Frauen nicht gewinnen können: Die gleiche Eigenschaft, die bei einem Mann positiv erscheint, kann bei einer Frau negativ wirken. Wenn ein Mann zum Beispiel um eine Beförderung bittet, wird dies als durchsetzungsfähig und ehrgeizig angesehen. Wenn eine Frau die gleiche Forderung stellt, kann sie als aufdringlich oder fordernd angesehen werden. Ebenso gilt ein Mann, der selbstbewusst seine Meinung äussert, als stark und entschlossen, während eine Frau, die dasselbe tut, als aggressiv oder herrisch bezeichnet werden kann (Gross, 2023; Tiwana, 2016). Dies ist der so genannte „Double-Standard-Bias“, der definiert wird als „die Verwendung unterschiedlicher Anforderungen für die Schlussfolgerung des Besitzes eines Attributs, abhängig von den zu beurteilenden Personen“ (Foschi, 2000). Statusmerkmale (Geschlecht, Ethnie, sozioökonomischer Hintergrund …) werden zur Grundlage für die Anwendung strengerer Standards für Personen mit niedrigerem Status. Die Voreingenommenheit mit zweierlei Mass ist für die Bewertung der Arbeit von Frauen (gegenüber der von Männern) gut dokumentiert (Cecchi-Dimeglio, 2023).

Auch patriarchalische Einstellungen spielen hier eine wichtige Rolle. Diese beziehen sich auf normalisierte und erlernte Überzeugungen und Verhaltensweisen, die sich häufig in Handlungen manifestieren, die Männer privilegieren und Frauen benachteiligen (Adisa et al., 2019). Diese Haltungen betonen eine hierarchische Voreingenommenheit, die die Stimme der Frauen unterbewertet. Beispielsweise werden Frauen bei Besprechungen oft unterbrochen, ihre Meinung wird häufig nicht beachtet, und ihre Beiträge werden nur anerkannt, wenn sie von einem männlichen Kollegen geäussert werden. Solche Verhaltensweisen können dazu führen, dass Frauen unter „Gaslighting“ leiden, d. h. sie beginnen, an ihren eigenen Wahrnehmungen und Beiträgen zu zweifeln, weil ihre Beiträge immer wieder untergraben und abgewertet werden (Mallick, 2021; Westover, 2021).

Beeinflussen individuelle Entscheidungen, wer an der Macht ist?

Damit soll nicht gesagt werden, dass individuelle Entscheidungen keine Rolle spielen. Frauen und Männer treffen nach wie vor unterschiedliche Entscheidungen, wenn es um den Bildungsbereich, den Erwerb von Finanzwissen oder die berufliche Laufbahn geht, um nur einige Beispiele zu nennen.

1. Finanzielle Allgemeinbildung

Eine der Hauptursachen für das Machtgefälle ist die finanzielle Allgemeinbildung. In der Schweiz gibt es einen Mangel an finanzieller Bildung bei Frauen und Randgruppen (Klatzer et al., 2018; OECD, 2023). Im Kontext der Macht bezieht sich diese Kompetenz sowohl auf den beruflichen als auch auf den persönlichen Bereich und beschreibt das Wissen, das mit Finanzmanagement, Budgetierung und Investitionen einhergeht. Dieses Wissen ist auf dem Weg zu finanzieller Unabhängigkeit, Stabilität und Selbstbestimmung von grosser Bedeutung. Finanzielle Kompetenz befähigt die Einzelperson, indem sie ihr das nötige Rüstzeug für die Zukunft in die Hand gibt.

Bei Tests zur Finanzkompetenz, die im deutschsprachigen Raum durchgeführt wurden, schneiden Frauen in der Regel um mehr als 50 % schlechter ab als Männer und beantworten die Fragen viel häufiger mit „Ich weiss nicht“ als Männer (Kendzia & Suozzi Borrero, 2022). Auch der Trend bei der neuen Generation weist nicht in eine vielversprechende Richtung: Einem neuen OECD-Bericht zufolge verfügen viele junge Menschen immer noch nicht über die erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse, um solide Finanzentscheidungen zu treffen; fast jeder fünfte Schüler erreichte nicht das grundlegende Kompetenzniveau im Bereich Finanzwissen (OECD, 2024).

Wer über Finanzwissen verfügt, hat sowohl persönlich als auch beruflich eher die Kontrolle über seine finanzielle Situation und ist in der Lage, Einfluss auf die Wirtschaftspolitik und -entwicklung zu nehmen (Hung et al., 2012). Die gute Nachricht: In der Schweiz gibt es Finanzplattformen wie Ellexx und Smartpurse, die Bildungsangebote, Tools und Unterstützung bei der Finanzplanung für Frauen und Männer anbieten.

2. Bildungsentscheidungen

Dieses Problem spiegelt sich auch in der Bildungswahl wider, wo die MINT-Fächer immer noch als Männerdomäne wahrgenommen werden. Im Studienjahr 2022/2023 betrug der Anteil der Frauen an den MINT-Studierenden 35% (BFS, 2024a), wobei es zwischen den verschiedenen Fachrichtungen erhebliche Unterschiede gibt: In der Chemie und den Biowissenschaften ist weit über die Hälfte der Studierenden weiblich (57%), während dies nur für 16% aller Informatikstudierenden und 18% der Technikstudierenden gilt (ebd.). Ebenfalls interessant: Der Anteil der Schweizerinnen ist über alle MINT-Fächer hinweg tiefer als der Anteil der ausländischen Frauen (ebd.). In den Wirtschaftswissenschaften liegt der Frauenanteil an den Hochschulen bei 36% (BFS, 2024b). Eine solche frühe Spezialisierung perpetuiert die bestehende Machtdynamik in Bezug auf die Geschlechterrollen und verstärkt das Ungleichgewicht. Es ist zum Beispiel nicht so einfach, mehr Mädchen zu motivieren, MINT-Fächer zu studieren, oder junge weibliche Talente im Bankwesen zu ermutigen, den CFA zu absolvieren. Die Forschung zeigt, dass die Löhne sinken, wenn mehr Frauen in einen Bereich eintreten – und zwar für dieselben Tätigkeiten, die zuvor von mehr Männern ausgeübt wurden (Levanon et al., 2009; Miller, 2016).

3. Berufswahl

Frauen sind in Positionen mit Verantwortung für Gewinn- und Verlust sowie in Positionen mit Personalverantwortung stark unterrepräsentiert. Warum? Frauen entscheiden sich häufig für Laufbahnen, die nicht zu künftigen Positionen mit grosser Verantwortung führen – HR, Recht, Kommunikation usw. Diese Entscheidungen sind abhängig vom Karriereweg – so ist beispielsweise eine zunehmende Erfahrung in der Gewinn- und Verlustrechnung eine unabdingbare Voraussetzung für hochrangige Führungspositionen (DDI’s 2020 Global Leadership Forecast project). Folglich befinden sich diejenigen, die keine GuV-Funktionen innehaben, innerhalb des Systems im Nachteil. Ist die Antwort auf die Frage, warum es nicht mehr Frauen in Führungspositionen gibt, einfach, dass sie die falsche Berufswahl getroffen haben?

Das mag zwar ein Teil der Antwort sein, aber die Frage nach dem „Warum“ bleibt.  Frauen erhalten häufig nicht das Wissen und die Betreuung, die für das Erlernen von Fähigkeiten im Bereich der Gewinn- und Verlustrechnung erforderlich sind (Robinson, 2023). Eine repräsentative Umfrage unter US-amerikanischen Männern und Frauen in der Wirtschaft ergab, dass nur 14 % der Frauen – im Vergleich zu 46 % der Männer – aktiv dazu ermutigt wurden, GuV-Rollen in Betracht zu ziehen, und dieselbe Umfrage ergab, dass Männer mehr als dreimal so häufig über Karrierewege zu GuV -Rollen in ihren jeweiligen Unternehmen informiert sind (Seramount, 2019).  Siemens ist ein gutes Beispiel dafür, wie man Frauen dabei unterstützt, gut informierte Karriereentscheidungen zu treffen.

 

Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in Bezug auf Geld und Macht auf individuelle Entscheidungen zu schieben, ist zwar eine einfache und verlockende Perspektive, aber individuelle Entscheidungen werden nie in einem Vakuum getroffen, sondern innerhalb eines bestehenden Machtsystems. Das Machtsystem wurde für Männer und von Männern geschaffen – es geht nicht darum, „die Frauen zu reparieren“. Die Sensibilisierung für die Folgen dieser individuellen (Berufs- oder Bildungs-)Entscheidungen könnte jedoch dazu führen, dass sie bewusster getroffen werden.