Wenn sich Macht in der Wirtschaft auf das Potenzial oder die Fähigkeit bezieht, andere zu beeinflussen, um organisatorische Ziele zu erreichen, dann ist die Ermächtigung anderer der beste Weg, diese Ziele zu verwirklichen. Führungspersönlichkeiten, die andere auf diese Weise befähigen, sind nicht neu. Schon Lao Tzu stellte fest: „Ein Führer ist am besten, wenn die Menschen kaum wissen, dass es ihn gibt; wenn seine Arbeit getan, sein Ziel erreicht ist, werden sie sagen: Wir haben es selbst getan.“ Aber wie können Organisationen Empowerment zu einer gelebten Realität zu machen?
Anstatt die Macht in den Händen einer einzelnen Person oder einer kleinen (homogenen) Gruppe zu konzentrieren, sollte Macht auf viele verteilt werden. Es liegt zwar in der Natur von Hierarchien, dass nicht jede:r an der Spitze stehen kann, aber es gibt auch so viele Wege, um Macht zu teilen. Hierarchisch aufgebauten Organisationen wird oft vorgeworfen, sie seien veraltet – zu langsam, zu unbeweglich für die Turbulenzen der modernen Welt (Leavitt, 2003). Die sich rasch verändernde Umgebung erfordert, dass Organisationen den Anspruch von Kontrolle über Mitarbeitende – ein traditionelles Machtverständnis — hinausgehen und die Energie und das Engagement aller mobilisieren (Lingo & McGinn, 2020).
Richtig gemacht fördert Empowerment die kreative Herangehensweise an Probleme, Zusammenarbeit, Entscheidungsqualität, Gesamt- und Einzelleistung, das Streben nach innovativen Lösungen, eine Vertrauenskultur und motiviert das gesamte Team (Barsade, 2002). Indem die Macht über ein Netzwerk von Mitarbeitenden verteilt wird, können Unternehmen auch ein breites Spektrum an Talenten und Erkenntnissen nutzen und so eine Kultur des Engagements fördern.
Das Gegenteil tritt ein, wenn die Macht in fester Hand eines homogenen Führungsteams ist. Dies kann sich erheblich auf das Handeln und die Wahrnehmung von Führungskräften auswirken, z.B. im Bezug von Beziehungsaufbau, Kommunikation, und Gesamtleistung, was sich möglicherweise negativ auf den Aufbau von Beziehungen, die Kommunikation und die Gesamtleistung der Führungskräfte auswirkt (Ziemianski, 2022). Studien zeigen, wie «Groupthink» (Gruppendenken) zu schlechten Entscheidungen führen kann, weil abweichende Meinungen und negatives Feedback fehlen, die Kreativität eingeschränkt ist, zu viel Vertrauen in den Konsens besteht und optimale Lösungen übersehen werden, was sich wiederum negativ auf die Rentabilität und Leistung von Organisationen auswirken kann (Umana & Okafor, 2019). Ein klassisches Beispiel ist die Finanzkrise von 2008, bei der ein Grossteil der von grossen US-Investmentbanken gehaltenen Vermögenswerte nach den bankeigenen Modellen und Prognosen oder sogar nach den besten Schätzungen der Geschäftsleitung bewertet wurde. Dies bedeutet, dass die Perspektivenvielfalt – ein wesentlicher Vorteil eines vielfältigen Teams – bei den Schätzungen kaum eine Rolle spielten.
Geteilte Macht steht im Einklang mit den Grundsätzen der Chancengerechtigkeit, da sie sicherstellt, dass marginalisierte Stimmen in Entscheidungsprozessen gehört und geschätzt werden (Nishii & Leroy, 2022). Auf diese Weise hilft Empowerment den Unternehmen, den vollen Nutzen aus ihrer vielfältigen Belegschaft zu ziehen. Aber wie können Unternehmen dies erreichen?
Traditionelle Machtstrukturen halten das Bild der „heroischen“ Führungskraft aufrecht. Aber, wie Tina Turner berühmt gesungen hat: „We don’t need another hero.“
Wir müssen eine neue Vision von Führung entwickeln, die eine Alternative zu den traditionellen Führungsmodellen bietet, um die bestehenden Machtstrukturen aufzubrechen (Fletcher, 2004). Die so genannte post-heroische Führung setzt auf die Zusammenarbeit, den kollektiven Erfolg, die dezentrale Entscheidungsfindung und die Ermächtigung aller. Da die individuelle Persönlichkeit, Motivation, und Kompetenzen betont wird, verliert das Geschlecht an Bedeutung, so dass sich postheroische Führung ausschliesslich auf Führungsfähigkeiten und nicht auf geschlechtsspezifische Attribute konzentriert (i.e. weniger stark mit Vorstellungen von Männlichkeit oder Weiblichkeit verknüpft wird). Postheroische Führung definiert festgefahrene Machthierarchien, denn postheroische Führungspersönlichkeiten fördern ein inkludierendes Umfeld, in dem unterschiedliche Sichtweisen gewürdigt, kollektive Problemlösungen gefördert und die Macht gerechter verteilt wird. Empowerment und Machtteilung erfordern also einen postheroischen Führungsansatz.
Aber: Wie können wir Führungskräfte, Unternehmen und Mitarbeitenden dazu bringen, andere zu ermächtigen? Viele erkennen zwar an, dass das derzeitige Führungsmodell unzureichend ist, doch fehlt es ihnen möglicherweise an Wissen oder Instrumenten, um diesen Übergang effektiv zu bewältigen.
Personalmanagement wird immer noch als sine-qua-non für den Aufstieg gesehen. Von Führungskräften wird erwartet, dass sie alles können (und wissen): Personalmanagement, Projektmanagement, Verantwortung für die Gewinn- und Verlustrechnung, Fachwissen. Dies trägt zu homogenen Chefetagen bei, da es mehr Frauen in Expertenrollen als in Führungspositionen gibt, wodurch Männer oft gegenüber Frauen bevorzugt werden (Galsanjigmed & Sekiguchi, 2023). Die Diversifizierung der Karrierewege und ihre Entkopplung von den (oft unausgesprochenen) Erwartungen bezüglich Personalmanagement öffnet auch die Tür zum Aufstieg auch für ein breiteres, vielfältigeres Spektrum von Talenten. So könnten beispielsweise Frauen Führungspositionen in Technologieunternehmen übernehmen, auch wenn sie nicht über hochspezifische technische Expertise verfügen. Die Trennung von Mitarbeitendenführung und Fachwissen trägt auch der Tatsache Rechnung, dass jede:r Einzelne unterschiedliche Ziele und Motivationen hat, die nicht einer einzigen Norm entsprechen.
Warum ist das wichtig? Wenn man von Führungskräften erwartet, dass sie alles tun, kann das zu ineffizientem Management führen. Universitäten und Krankenhäuser sind dafür berüchtigt: Ein ordentlicher Professor an einer Universität kann beispielsweise einen Stab von Dutzenden von Mitarbeitenden leiten, der sich aus Forscher:innen, Doktorierenden, Verwaltungspersonal usw. zusammensetzt, und zusätzliche Managementaufgaben übernehmen, z. B. als Abteilungsleiter, Leiter eines akademischen Suchausschusses oder Ähnliches. Gleichzeitig kann sich der Professor nicht auf die Positionsmacht oder den Status stützen, die normalerweise mit einer Führungsrolle verbunden sind, sondern was wirklich zählt, ist die spezifische Expertise in seinem Fachgebiet, gemessen an der Publikationsleistung und dem Finanzierungserfolg (Hengartner, 2012). Alles, was nicht direkt mit letzteren zusammenhängt, wird oft als zweitrangig oder sogar als Hindernis für die zentralen Ziele der Einrichtung betrachtet. Wer von den Expert:innen interessiert sich schon für interne Prozessdefinitionen oder interdisziplinäre Personalentwicklung, wenn es doch schliesslich darum geht, Wissen zu schaffen und die Wissenschaft voranzubringen (Professo:in) oder die Elite der Zukunft auszubilden oder Leben zu retten (Arzt/Ärztin)?
In vielen Unternehmen konzentrieren sich Macht und Entscheidungsbefugnis auf CFOs und Führungskräfte des Kerngeschäfts, während Führungskräfte in der Rechts- oder Personalabteilung weniger Einfluss haben (Harrison & Malhotra, 2024; Logue & Casteel, 2024). Es gibt jedoch zwingende Gründe, dieses Ungleichgewicht zu überdenken, z. B. bei der strategischen Ausrichtung und beim Risikomanagement. Angesichts des Fachkräftemangels wird die Personalabteilung heutzutage zu einem strategischen Thema. Darüber hinaus können rechtliche Fragen, wie z. B. Klagen im Zusammenhang mit Diskriminierung, erhebliche Risiken für das Überleben eines Unternehmens darstellen. Auf diese Weise können Unternehmen ihr Fachwissen effektiver nutzen, den strategischen Wert steigern und die Gesamtleistung des Unternehmens verbessern.
Unternehmen haben traditionell einen starren Ansatz für die Laufbahnentwicklung gewählt – erfülle deine Ziele und erklimm die nächste Sprosse der Karriereleiter. Auf diese Weise ist die Entwicklung eng mit Beförderungen und mit einer Karriere im traditionellen Sinne verbunden.
Das tut weder Unternehmen noch ihren Mitarbeitenden gut. Die Mitarbeitenden sind so starr an einen bestimmten Entwicklungspfad gebunden und nicht in der Lage, neue Fähigkeiten ausserhalb ihres unmittelbaren Aufgabenbereichs zu erwerben oder in eine andere Abteilung zu wechseln, in der sie einen Mehrwert schaffen könnten. Mitarbeitende, die sich in ihrer aktuellen Rolle nicht wohlfühlen, haben oft keine andere Wahl, als das Unternehmen zu verlassen, auch wenn sie das lieber nicht tun würden. In einer Zeit des Fachkräftemangels können sich Schweizer Unternehmen und Organisationen dies schlicht nicht leisten!
Die Unternehmen und ihre Führungskräfte müssen den Schwerpunkt der Karrieregespräche von der Beförderung auf die Entwicklung in diversen Richtungen verlagern. Es muss für Mitarbeitende möglich sein, Möglichkeiten jenseits der Grenzen ihres bestehenden Teams zu erkunden, eine Fähigkeit zu erlernen, die nicht direkt mit ihrer derzeitigen Rolle zusammenhängt, oder an einen anderen Standort oder in eine andere Abteilung zu wechseln. Nennen Sie es Spiralkarriere, Portfoliokarriere, Zickzackkarriere oder wie auch immer – etwas Neues auszuprobieren sollte nicht nur gefördert, sondern auch belohnt werden (Bilderback & Miller, 2023).
Manager:innen müssen ihren Fokus von dem begrenzten Zuständigkeitsbereich ihres Teams auf die Bedürfnisse der Organisation als Ganzes richten und eine „Eine:r für alle“-Mentalität schaffen. Dies erfordert ein Neudenken der Art und Weise, wie in einer hierarchischen Organisation Macht ausgeübt wird – und wie Belohnungen verteilt werden. Manager:innen, die auf individueller oder Teamebene Ziele in Bezug auf die Talententwicklung haben, haben einen Anreiz, ihre „besten“ Mitarbeitenden zu behalten und werden in Bezug auf ihre Talente «territorial». Dies geht oft zu Lasten der Karriereentwicklung der einzelnen Mitarbeitenden, führt zu einer kurzsichtigen Sichtweise auf die Talente und behindert die Fähigkeit des Unternehmens, alle vielfältigen Talente zu fördern.
Konkrete Empfehlungen zur Unterstützung post-heroischer Führungskräfte finden Sie hier!
Wie die Macht in einer Organisation verteilt ist, bestimmt, wie Entscheidungen getroffen werden – und ob die besten Ideen gehört und schliesslich umgesetzt werden. Hierarchische Organisationen mit einem Top-Down-Führungsansatz sind oft durch Trägheit und Starrheit grprägt, wodurch es für die Organisation schwierig wird, sich Veränderungen im externen Umfeld anzupassen (Arnone & Stumpf, 2010). Und warum? Esmee Arends, Leiterin des Bereichs Business Transformation Services bei SAP, argumentiert: „Hierarchien, die aus zu vielen Schichten bestehen, sind nicht hilfreich, weil sie die Entscheidungsfindung verlangsamen“ (Arends, The Institute of Leadership). Umgekehrt können Unternehmen, die sich Powersharing zu eigen machen, das Potenzial ihrer Teams voll ausschöpfen, indem sie die Stimmen der Mitarbeitenden hören, die am Puls des Geschehens sind (Hieu, 2020).
Pyramidale und flache Strukturen stellen zwei Extreme dar: Bei der ersteren wird die Macht an der Spitze konzentriert, bei der zweiten gleichmässig auf alle Mitglieder verteilt. Der Trend zu flacheren Organisationsstrukturen stellt die Zusammenarbeit ins Zentrum und erfordert ein Verständnis und die Förderung geteilter Macht für den Erfolg. Wenn die Macht auf mehrere Schultern verteilt wird, anstatt sie auf eine kleine Handvoll Personen zu konzentrieren, verringert sich die Abhängigkeit von einer einzelnen Entscheidungsträger:innen. Dezentralisierung ermöglicht schnellere, nicht langsamere, Entscheidungsprozesse, da es keine Engpässe gibt, die durch das Warten auf die Zustimmung einer einzigen Autoritätsperson verursacht werden. Viele Organisationen haben bereits Praktiken eingeführt, die Powersharing fördern und Hierarchien abflachen lassen; diese Praxisbeispiele zeigen auch, dass effektive Entscheidungsprozesse dennoch aufrecht erhalten werden können (Bolden, 2011). So ist demokratischere Verteilung der Macht innerhalb der Organisation möglich, die gleichzeitig ein effektives Management gewährleistet (Schippers & Rus, 2021).
In dringenden Fällen, in Notfällen oder auch bei Abwesenheit oder Unfähigkeit der obersten Führungsperson sind Powersharing und dezentrale Entscheidungsfindung von entscheidender Bedeutung, um Risiken zu minimieren und die Kontinuität und Effizienz des Geschäftsbetriebs zu gewährleisten (Mizrak, 2024). Gefordert sind Ansätze und Instrumente, die sich durch eine nicht-hierarchische Struktur und Flexibilität auszeichnen. So macht es beispielsweise das dynamische Umfeld von Katastrophenmanagement zwingend erforderlich, in die sektor- und behördenübergreifende Zusammenarbeit und Koordination zu investieren (Kapucu & Garayev, 2011).
Die gute Nachricht: Es gibt alternative Entscheidungsfindungsmodelle, und sie werden bereits in vielen Unternehmen eingesetzt!
In den letzten Jahren ist „agiles Arbeiten“ in aller Munde. Etwa ein Jahrhundert lang – seit den Tagen von Henry Ford und Frederick Taylor – haben sich die Unternehmen das so genannte „Maschinenmodell“ zu eigen gemacht, das auf den Grundsätzen des wissenschaftlichen Managements aufbaut. Effektivität und Effizienz wurden durch Spezialisierung und starre hierarchische Strukturen maximiert (Morgan, 1998). Doch diese „Maschinenorganisationen“ gedeihen nicht mehr so gut wie früher; so waren beispielsweise weniger als 10 Prozent der 1983 in den S&P 500 aufgenommenen Nicht-Finanzunternehmen auch 2013 noch im S&P 500 vertreten (Aronowitz et al., 2015). „Agile Organisationen“ werden als eine Antwort auf ein Umfeld gesehen, das sich schnell entwickelt, in dem ständig neue bahnbrechende Technologien eingeführt werden, in dem sich die Digitalisierung und die Demokratisierung von Informationen beschleunigen und in dem ein neuer Krieg um Talente herrscht (Aghina et al., 2018).
McKinsey beschreibt die agile Organisation als einen „Organismus“, der sich durch ein starkes gemeinsames Ziel in der gesamten Organisation, klare, flache Strukturen mit eindeutigen, rechenschaftspflichtigen Rollen in einem Netzwerk von Teams mit beträchtlicher Entscheidungsgewalt, schnelle Entscheidungs- und Lernzyklen, Rollenmobilität und geteilte und dienende Führung sowie eine sich entwickelnde Technologiearchitektur, Systeme und Werkzeuge auszeichnet. Agile Organisationen oder Einheiten verfolgen auch einen Projektmanagement-Ansatz, bei dem das Projekt in Phasen unterteilt wird und die kontinuierliche Zusammenarbeit und laufende Verbesserung im Vordergrund steht. Die Teams folgen einem Zyklus aus Planung, Ausführung und Bewertung, wobei Verantwortung und Rechenschaftspflicht auf der Basis von Fchwissen und Fähigkeiten aufgeteilt und geteilt werden. Wenn Teammitglieder die Möglichkeit haben, Entscheidungen zu treffen und die Initiative zu ergreifen, erhöht dies auch die Arbeitsmotivation und -zufriedenheit (Modise, 2023; Tessem, 2014). Während nur wenige Organisationen eine umfassende Agilität erreicht haben, haben viele damit begonnen, sie in einzelnen Leistungseinheiten zu imlementieren. Laut einer McKinsey-Quarterly-Umfrage war bereits 2017 fast ein Viertel der Leistungseinheiten agil! (Salo, 2017).
Innerhalb agiler Strukturen kann die Umsetzung von Powersharing demokratische Entscheidungsprozesse erleichtern. Bei Entscheidungen werden die Beiträge und Perspektiven aller Teammitglieder berücksichtigt. Dieser Ansatz geht über die „einfache“ Erweiterung der Führungsspanne durch den Abbau von Hierarchien hinaus; er fördert ein kollaboratives Umfeld, in dem Autorität und Verantwortung im Team verteilt sind und über die Zeit durch verschiedene Hände gehen können, was zu einer gerechteren Machtdynamik führt.
Das mag beängstigend klingen – schliesslich tragen Sie als Führungskraft die Endverantwortung für die Leistung Ihres Teams – aber bei Empowerment geht es nicht darum, Ihren Teams freie Hand zu geben, damit sie tun und lassen können, was sie wollen. Zusammenarbeit ist in diesen Umgebungen das A und O, um Teamwork, Ideenaustausch und gemeinsame Zielerreichung zu fördern. Das bedeutet auch, dass kontinuierlich gemessen werden muss, ob und wie die Ziele erreicht werden und wie sich die Mitarbeitenden dabei fühlen. Die Bildung und Leitung eines agilen Teams ist eine weitere Herausforderung für das Management. Die Führungskräfte müssen den Ton im Team angeben, für gut definierte Ziele sorgen und klare Erwartungen formulieren.
Der Begriff „Top-Sharing“ oder „Shared Leadership“ bezieht sich auf die gemeinsame Ausübung einer Managementfunktion. Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass sich zwei Personen eine Rolle teilen. Vielmehr geht es bei der geteilten Führung darum, die Humanressourcen in einer Organisation zu maximieren, indem mehr Personen Führungspositionen in ihren Fachgebieten übernehmen können (Goldsmith, 2010). Zuständigkeiten und Aufgaben werden geteilt, und viele Entscheidungen werden gemeinsam oder in Absprache getroffen. Die Einführung eines Top-Sharing-Modells ist zwar mit gewissen Anlaufkosten verbunden, bietet aber auch entscheidende Vorteile.
Im Idealfall kombiniert Top-Sharing die besten Fähigkeiten mehrerer Führungskräfte (ebd.). Der Ansatz bietet somit eine hervorragende Gelegenheit, die Führungsvielfalt zu erhöhen. Unterschiedliche kulturelle Hintergründe, Persönlichkeiten, Erfahrungen, Geschlechter oder Generationen der „Tandems“ schaffen unterschiedliche Perspektiven auf die Führungsrolle. Führungskräfte können während ihrer Arbeit sowohl fachlich als auch persönlich voneinander lernen, was die Qualität der Arbeit kontinuierlich verbessert. Bei der Entscheidungsfindung in wichtigen Fragen stehen ihnen breitere Ressourcen an Erfahrung und Expertise zur Verfügung, um die bestmögliche Entscheidung zu treffen. Gleichzeitig ist die Planung von Vertretungen auf einfache Weise gesichert. Lesen Sie mehr über die Umsetzung von Top Sharing im letztjährigen GIR oder lernen Sie von der Best Practice von Vontobel!
Dieser Ansatz adressiert nicht nur geschlechtsspezifische Diskrepanzen in der Machtdynamik, sondern fördert auch ein innovativeres, widerstandsfähigeres und nachhaltigeres Geschäftsumfeld.
Wenn sich Unternehmen für eine integrative Führung engagieren, verfügen sie bereits über alle Instrumente, die ihre Führungskräfte benötigen, um die Macht erfolgreich zu teilen. Schliesslich geht es bei der inklusiven Führung darum, wie Führungskräfte es ihren Mitarbeitenden ermöglichen, sich zu entfalten und ihre Einzigartigkeit am Arbeitsplatz einzubringen, aber auch darum, dass die Mitarbeitenden ein Gefühl von Autonomie und Kompetenz sowie psychologischer Sicherheit entwickeln (Shore et al., 2011; Hornung, 2023; Nishii, 2013). Informieren Sie sich hier über integrative Führungspraktiken.
Konkrete Empfehlungen zum Power-Sharing finden Sie hier!
Ein weiser Mann sagte einmal: „With great power comes great responsibility“ (grosse Macht bringt grosse Verantwortung). Dazu gehört auch die Verantwortung, über die eigene Macht nachzudenken und darüber, wie man sie überhaupt erlangt hat.
Wenn man über Macht nachdenkt, ist es wichtig, über die „auf dem Papier“ stehende hierarchische Position im Organigramm hinauszudenken und die formelle und informelle Machtbasis umfassender zu betrachten. Fast jede:r Vorgesetzte, Kolleg:in, Teammitglied usw. ist in der Lage, andere zu verletzen oder zu verurteilen, andere zu ermutigen, wichtige Ressourcen oder Informationen zu teilen oder zurückzuhalten usw. All dies setzt keine bestimmte Position in einer Hierarchie voraus, sondern ist ein Beispiel für Referenzmacht, die sich aus der Fähigkeit ergibt, Beziehungen zu pflegen, und aus der Tatsache, dass man von anderen als wichtige Inspirationsquelle oder wichtige Einflussperson angesehen wird.
Jedes Mitglied einer Organisation ist dafür verantwortlich, die Werte der Inclusion und Chancengerechtigkeit vorzuleben. Aber obwohl jede:r einen Einfluss und damit auch eine gewisse Verantwortung für das Vorleben dieser Werte hat, sind Macht und Verantwortung dennoch auch immer mit der eigenen Position in der Organisation verbunden. Führungskräfte haben somit die besondere und einzigartige Gelegenheit, in Sachen Inclusion den Ton anzugeben und eine klare Leistungserwartung aufstellen. Daher liegt es in der Hauptverantwortung der Führungskräfte, ihre eigene Macht nicht nur anzuerkennen und kritisch zu reflektieren.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die Reflexion über Privilegien (Jourdan, 2021). Warum ist Privileg in einer Diskussion über Macht wichtig? Bei Privilegien geht es um die Vorteile, die man aus den bestehenden Machtstrukturen der Gesellschaft zieht (Johnson, 2000). Das bedeutet, dass bestimmte Teile des eigenen Hintergrunds und der demografischen Zusammensetzung einem Vorteile verschafft haben, die andere nicht haben (Jourdan, 2021). Bei der Betrachtung der geschlechtsspezifischen Privilegien wird deutlich, dass bestimmte Gruppen, wie z. B. heterosexuelle weisse Männer, allein aufgrund ihres Geschlechts (und unabhängig von ihrer Macht) grössere Privilegien am Arbeitsplatz erfahren. Privilegien erleichtern den Weg zur Macht – und es ist wichtig, sie anzuerkennen und über sie zu sprechen. Daher sollte man diese Fragen und Konzepte aus einer intersektionalen Perspektive diskutieren, um zu verstehen, wie sich andere Dimensionen (wie Ethnie) auf die Privilegien auswirken können, die man am Arbeitsplatz hat (Clark et al., 2017).
Für die Privilegierten mag es unangenehm sein, ihre mitgegebenen Vorteile anzuerkennen – offen ode sich selbst gegenüer. Es ist jedoch ein notwendiger Schritt, sich mit den systemischen Problemen auseinanderzusetzen, die sowohl Macht als auch Privilegien ermöglichen. Sich seiner Privilegien bewusst zu werden, bedeutet oft, sich die Erfahrungen derjenigen, die aus Randgruppen kommen, aktiv anzuhören und die eigene Position innerhalb der bestehenden Machtstrukturen zu reflektieren. Ehrlich und offen über die eigenen Privilegien zu sprechen, ist eine wichtige Führungsaufgabe. Lee Jourdan behauptet, dass dies „die Abwehrkräfte senkt, Verletzlichkeit demonstriert und den Ton für inkludierende Verhaltensweisen angibt“ (Jourdan, 2021).
Es ist von entscheidender Bedeutung zu erkennen, dass ein sinnvoller Wandel interne Veränderungen und eine Abkehr vom Status quo erfordert. Dies erfordert auch Massnahmen von denjenigen, die derzeit Machtpositionen innehaben. Es ist paradox und erklärt zum Teil, warum der Wandel nicht stattfindet, da diejenigen, die sich dem bestehenden Machtverständnis anpassen und es unterstützen, dazu neigen, in diese Machtpositionen aufzusteigen.
Konkrete Empfehlungen zum Erkennen und Nutzen von Privilegien finden Sie hier!