4 Der Begriff “MEM ” umfasst nicht nur die “typischen” Unternehmen des Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie, sondern auch andere Unternehmen mit ähnlichen Strukturen und in verwandten Tätigkeitsbereichen.
Die Zahl der Erwerbstätigen im Ingenieur-Bereich hat sich in den ersten Jahrzehnten der 2000er-Jahre verdoppelt, jedoch konnte die Anzahl der Absolvent:innen mit technischen Abschlüssen nicht Schritt halten (Minsch et al., 2017). Dies bedeutet, dass die MEM-Branche darauf angewiesen ist, alle verfügbaren Talente zu erreichen. Wie managen und stärken die Unternehmen der MEM-Branche ihre Talentpipelines? Gelingt es ihnen, vielfältige Talente anzuziehen und zu halten?
Die MEM-Branche weist von allen im GIR 2022 analysierten Branchen den tiefsten Frauenanteil auf: Nur 24% der Gesamtbelegschaft ist weiblich. Mit 28% Frauen im Nicht-Kader ist zudem der weibliche Talentpool in der MEM-Branche deutlich geringer als in anderen Branchen. Der Anteil von 15% Frauen im oberen/obersten Kader ist jedoch nur unwesentlich kleiner als in den meisten anderen Branchen. Das bedeutet, dass die Unternehmen der MEM-Branche trotz des tiefen Frauenanteils die Geschlechtervielfalt in Führungspositionen relativ gut fördern.
Aus einer intersektionalen Perspektive zeigt sich ein interessanter Trend in der MEM-Branche: Frauen sind deutlich jünger als Männer. 47% aller weiblichen Kadermitarbeitenden sind 40 Jahre oder jünger. Bei den Männern sind es nur 30%. Eine Tendenz, die stärker ausgeprägt ist als im Gesamtsample. 46% der Männer im mittleren und oberen/obersten Kader sind über 50 Jahre alt, was darauf hindeutet, dass eine Welle von Babyboomer-Pensionierungen in Führungspositionen auf die MEM-Branche zukommt. Dies bietet die Chance, Stellen mit vielfältigen, inklusiven Führungskräften zu besetzen, birgt aber auch die Gefahr des Verlustes von wertvollem Wissen sowie die Herausforderung, genügend Kandidat:innen zu finden, um diese Stellen besetzen zu können. Unternehmen in der MEM-Branche haben jetzt die grosse Chance, den Wissenstransfer zwischen Generationen und Geschlechtern proaktiv zu managen.
Obwohl das typische Talent männlich, Schweizer und zwischen 31 und 40 Jahre alt ist (wenn man die Beförderungen betrachtet), nutzt die MEM-Branche sowohl Beförderungen als auch Rekrutierungen dazu, den Anteil von Frauen in Sprungbrettpositionen (unterstes und unteres Kader) sowie im mittleren und oberen/obersten Kader zu erhöhen. Die MEM-Branche schöpft dabei auch das bestehende Potenzial aus: So ist der Anteil der Frauen, die in unterste und untere Kaderstufen befördert werden, etwa gleich hoch wie der Frauenanteil im Nicht-Kader. Das deutet darauf hin, dass die MEM-Branche ihren vielfältigen Talentpool gut nutzt. Auch der Frauenanteil bei den Beförderungen insgesamt (25%) ist ähnlich hoch wie der Frauenanteil in den MEM-Unternehmen (24%).
In der MEM-Branche werden Frauen vergleichsweise häufiger von extern ins Kader rekrutiert als sie intern befördert werden. Mit diesem Fokus zielt die MEM-Branche auf den Ausbau des weiblichen internen Talentpools.
Doch wer sind diese Frauen, die neu in MEM-Unternehmen rekrutiert werden? Der Anteil ausländischer Frauen an den Kaderrekrutierungen ist deutlich höher als der bestehende Anteil Ausländerinnen im Kader. Während 57% der Kaderfrauen in der MEM-Branche Schweizerinnen sind, liegt der Anteil der Schweizerinnen bei den weiblichen Kaderrekrutierungen nur bei 37%. Diese Tendenz zeigt sich auch für Positionen im Nicht-Kader, ist aber weniger ausgeprägt. Deutlich weniger ausgeprägt ist dieser Trend zudem bei den Männern: 54% der neu eingestellten Kadermänner sind Schweizer, bei den bereits in MEM-Unternehmen tätigen Kadermänner sind es 65%. Das lässt sich teilweise damit erklären, dass in der Schweiz der Frauenanteil in den Ingenieur- und Technikstudiengängen geringer ist als im Ausland, einschliesslich der meisten europäischen Länder (UNESCO, 2020). Die grosse Mitarbeitendenvielfalt erfordert einen Fokus auf Inklusion um sicherzustellen, dass alle Mitarbeitenden sich wertgeschätzt fühlen (und um eine höhere Fluktuation von vielfältigen Talenten zu verhindern). Wenn es sehr homogene Untergruppen mit geringen Überschneidungen gibt (jüngere Frauen mit ausländischer Nationalität und ältere Schweizer Männer), kann dies zu sogenannten “Faultlines” zwischen den Gruppen führen. Das birgt die Gefahr, dass die Unternehmen die Vorteile der Mitarbeitendenvielfalt nicht nutzen können. Dies bedingt somit entsprechende Aufmerksamkeit und ein sorgfältiges Management, um Konflikte zu vermeiden (Lau & Murnighan, 1998; Jackson & Joshi, 2011).
60% aller Beförderungen in der MEM-Branche gehen an Mitarbeitende im Alter von 31 bis 40 Jahren, was deutlich höher ist als im Durchschnitt aller Branchen. Bei den Beförderungen in das unterste und untere Kader dieser Altersgruppe liegt der Frauenanteil nur bei 23% und ist damit deutlich tiefer als in den anderen Altersgruppen. Interessanterweise sind Frauen zwischen 31 und 40 Jahren bei den Rekrutierungen in das unterste und untere Kader mit einem Anteil von 37% deutlich stärker vertreten.
Im mittleren und oberen/obersten Kader ist der Unterschied zwischen Beförderungen und Rekrutierungen in der Altersgruppe zwischen 41 und 50 Jahren (wenn die meisten Karriereschritte in diese Positionen erfolgen) besonders deutlich. 13% der beförderten Mitarbeitenden in dieser Gruppe sind Frauen, verglichen mit 23% bei den neu rekrutierten Mitarbeitenden. Es ist also wahrscheinlicher, dass Frauen von extern in diese Kaderstufen geholt werden, als dass sie intern befördert werden.
In der MEM-Branche besteht eine ausgeprägte Vollzeitkultur, die einen gewissen Mangel an Flexibilität vermuten lässt. Die durchschnittlichen Beschäftigungsgrade gehören zu den höchsten im Vergleich mit den anderen Branchen, vor allem im Nicht-Kader. Vollzeit ist nicht nur notwendig, um eine Kaderposition zu erlangen, sondern scheint unabhängig von der Hierarchiestufe die Norm zu sein.
Der durchschnittliche Beschäftigungsgrad von Frauen zwischen 31 und 40 Jahren im untersten und unteren Kader ist höher als in anderen Branchen, d. h. die Pensen von Männern und Frauen sind ähnlicher. Ein Vollzeitpensum scheint erwartet zu werden, was für Mitarbeitende eine Herausforderung darstellen kann. Es kann aber auch erklären, warum verhältnismässig mehr Frauen als in anderen Branchen an die Spitze gelangen. In der MEM-Branche gibt es die Teilzeitstrafe nicht!
Das bedeutet aber auch, dass die MEM-Branche für vielfältige Mitarbeitende mit unterschiedlichen Bedürfnissen allenfalls weniger attraktiv ist und diese sich stattdessen für andere Branchen entscheiden. Auch wenn einige Formen des flexiblen Arbeitens in der MEM-Branche nicht so gut funktionieren mögen, könnte es an der Zeit sein, kreative Lösungen zu finden.
Führung neu denken: MEM-Unternehmen sollten die Anforderungen reflektieren um festzustellen, welche Kriterien wirklich notwendig und welche “nice to have” sind, um eine Kaderposition zu erreichen – und damit ihren Pool an potenziellen neuen Kadermitarbeitenden zu erweitern. Zum Beispiel:
Identifizieren und entwickeln Sie vielfältige Vorbilder – und machen Sie diese sichtbar: Eine wirksame Massnahme besteht darin, Frauen in MINT-Berufen mehr Sichtbarkeit zu geben – innerhalb und ausserhalb des Unternehmens (Roemer et al., 2020). Dabei ist es wichtig, authentische, weibliche Vorbilder zu identifizieren und strategisch einzusetzen. Aber wie kann man diese weiblichen Vorbilder identifizieren und sichtbar machen?